Winterreise

Oliver Welter, Musiker und Sänger der österreichischen Kultband NAKED LUNCH, verbündete sich zu diesem euphorisierenden Grenzgang mit der Pianistin, Klang- und Performance-Künstlerin Clara Frühstück. Entstanden ist auf Einladung des Burgtheaters eine ebenso radikale wie emotional berührende Neuinterpretation der WINTERREISE, die bei ihrer Uraufführung im Juni 2021 im Akademietheater mit anhaltenden Standing Ovations und begeisterten medialen Reaktionen gefeiert wurde. Vielleicht ein Wendepunkt in der Rezeption dieses existentiellen Meisterwerks von Franz Schubert und Wilhelm Müller, dessen schaurig schönem Wesen Welter und Frühstück mit einem gewachsenen Verständnis für Pop und leidenschaftlicher Genauigkeit auf den Grund gehen. Eine bewegende Reise direkt in die düstere Seele des bekanntesten Liederzyklus der Welt. 

„Wenn Oliver Welter mit Clara Frühstück die ‚Winterreise‘ interpretiert, muss man sich das anschauen. Und jeder, der ein Herz hat, geht in die Knie. Und zwar vor diesem unglaublich ernsthaften künstlerischen Bemühen darum, die mehrfache Gebrochenheit des Menschen würdevoll zu zeigen und zugleich sein Potential zu fliegen, schön zu sein, überbordend.“

Katja Gasser (ORF)

‚Winterreise‘, die den Atem stocken ließ. Keine aufgepeppte Version, keine Behübschung, sondern ein behutsames Nach-Denken der Lieder in Form existenziell markerschütternder Songs, denen Zeit zum Reifen gegeben worden ist. Jedes Lied ein Treffer. In Hans Zenders Sinne eine komponierte Song-Interpretation mit Klavier und E-Gitarre. Gänsehaut vom ersten Ton an.“

Rainer Elstner (Ö1)

Strangers in The Night:
Eine Winterreise ans Ende von Pop

von Fritz Ostermayer

Ich werde euch einen Zyklus schauerlicher Lieder vorsingen … Sie haben mich mehr angegriffen, als dieses bei anderen Liedern der Fall war“. Er sang uns nun mit bewegter Stimme die ganze Winterreise durch. Wir waren über die düstere Stimmung dieser Lieder ganz verblüfft, und Schober sagte, es habe ihm nur ein Lied, Der Lindenbaum, gefallen. Schubert sagte hierauf nur: „Mir gefallen diese Lieder mehr als alle, und sie werden euch auch noch gefallen“.
Franz Schuberts Freund Joseph von Spaun

Seit kurzem weiß ich, dass auch Banausen imstande sein können, Anstoß zu etwas Großem zu geben. Der Banause bin in dem Fall ich und die Beschränktheit meines Banausentums gilt konkret der klassisch ausgebildeten Gesangsstimme, insbesondere wenn diese sich über das „Kunstlied“ hermacht. Als popsozialisierter Musiknarr, dem die gebrochene, kippende, knarzende, Hauptsache idiosynkratische Stimme tausendmal wichtiger ist als die „schöne“, kann ich mit der hochleistungssportlichen Idee eines anzustrebenden Stimmideals schlicht nichts anfangen.
Womit wir bei der einzigartigen Winterreise von Clara Frühstück und Oliver Welter wären. EineKonzertpianistin, müde der klassischen Routinen und seit einigen Jahren ihre Virtuosität in postdramatischen Performances genussvoll zerreibend, und ein Popmusiker, müde der Beschlagenheit im Business und von Natur aus verrückt genug, sich gern in Unwägbarkeiten zu stürzen: bessere Voraussetzungen für eine geplante Reise ans Ende von Pop kann es kaum geben.

Und Pop im Sinne von Remake/Remodel sollte halt schon rauskommen, wenn man sich daranmacht, einen der brillantesten Liederzyklen der Romantik zu covern. Vor allem ging es um eine Aneignung dieser 24 Lieder von Franz Schubert und Wilhelm Müller unter den Bedingungen einer radikal subjektiven Emotionalität im Gegensatz zur Annäherung ans klassische Ideal des Kunstgesangs. Schnell wurde dabei klar, dass manche Lieder – die „Hits“ der Winterreise – von Haus aus Popstrukturen besitzen, während andere allein ob ihrer hochkomplexen Melodieführung sich der popkontextuellen Einverleibung widersetzten. Was Diskussionen über eine Ausweitung „künstlerischer Freiheiten“ zur Folge hatte, die schließlich zu einer mutigen, dennoch respektvollen Dekonstruktion der Winterreise führten, zu einer fatalen Vernichtungsreise, wie man sie so noch nicht gehört hat. Jeder Umweg, jede Sackgasse, jeder Dreckspfad brachte das torkelnde Duo letztendlich dorthin, wo auch Schuberts Songs und Müllers Lyrics hinstreben: in die Dunkelheit am Ende des Tunnels.

„Im Dunkeln wird mir wohler sein“: Wenn sich Nebel nicht mehr lichten müssen, erwächst Klarheit auch und gerade im Trüben. Plötzlich war klar, dass Der Lindenbaum vom deutschen Volkslied zum Folksong mit Fingerpicking-Gitarre mutieren muss. Klar, dass die eh schon von Schubert forcierten repetitiven Strukturen der Lieder auch auf die Spitze getrieben werden können, bis sich Oliver Welter nur noch in die Zeile Ein Licht tanzt verbeißt. Oder Clara Frühstück kommt bei den Proben drauf, dass ein spezifisch hohler Synthsound existentielle Leere gebührender auszudrücken vermag als der Klang ihres Bösendorfers und ein über den Klavierakkorden schwebender David Lynch-Gitarrenhall die Stimmung vergeblicher Sehnsucht auf das Traurigste verstärken kann.

Denn sowohl Welter als auch Frühstück sind enorme Melancholie-Verstärker. Die Pianistin zeigte schon 2018 in ihrer Musik-Performance Melo, my Love, dass nächtliche Dämmerzustände mehr Trost zu spenden imstande sind als jedes Tageslicht. Und Oliver Welter bewies mit seiner Band Naked Lunch viele Jahre lang, dass sich mit „süßem Weltschmerz“ (gebrochen durch den Taumel echter Krisen) große Konzertsäle füllen lassen.   

Der Noch-nicht-Popstar Franz Schubert komponierte seinen Liederzyklus 1827, ein Jahr vor seinem frühen Tod. Er wurde immerhin vier Jahre älter als die späteren Popstars des Club 27 (Brian Jones, Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Amy Winehouse etc.). Die seltsame Zahl 27 aber steckt wenigstens im Entstehungsjahr der „Winterreise“. Die hier von mir assoziierte Prä-Popaffinität bekräftigt auch der Tenor und gefeierte Schubert-Interpret Ian Bostridgein seinem Buch Schubert’s Winter Journey. Anatomy of an Obsession, wenn er die Winterreise als „das erste und großartigste Konzeptalbum“ bezeichnet.

Bostridges Feststellung, dass bei Schubert „Dur oft trauriger klingt als Moll“, bestätigt sich auch in den Coverversionen von Frühstück und Welter, die es sich nicht nehmen ließen, einige Stücke der Winterreise zweistimmig zu singen. Wer spätestens bei diesen Duetten nicht nah am Wasser gebaut in die Knie geht, den bestraft das Leben mit Tüchtigkeit. 

Alle anderen werden Zeuge einer Reise zweier Liebender, die sich – von denkbar unterschiedlichen Orten losgehend – als Strangers In The Night begegnen um fortan gemeinsam neue Tiefen zu erklimmen.

Am Ende ist es Behaupten in Demut. So sieht es der Banause. Unser aller Untergang wird dadurch freilich nicht aufgehalten.

Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz.
Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe.
Franz Schubert, «Mein Traum», Manuskript, 3. Juli 18


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